Max-Planck-Institut: Bier brachte Zivilisation

Haben wir uns zur Zivilisation getrunken? Schon vor Tausenden Jahren war Alkohol mehr als nur ein Genussmittel. Bier wurde Göttern geopfert, als Lohn ausgeteilt und bei Festen gereicht, um Macht zu zeigen und Gemeinschaft zu schaffen. Neue Studien deuten nun darauf hin: Der Rausch war womöglich nicht der Feind der Ordnung – sondern ihr Motor.

Alkohol gehört seit sehr langer Zeit zum Leben der Menschen. Schon in alten Kulturen wie Mesopotamien, Ägypten, Griechenland, China oder bei den Maya und Inka spielte er eine wichtige Rolle. Im alten Sumer wurde Bier zum Beispiel Göttern geopfert, als Lohn für Arbeiter verwendet und bei Festen ausgeschenkt. Außerdem diente es als Bezahlung für Arbeiter bei großen Bauprojekten und wurde von den Eliten bei Festen und Feierlichkeiten ausgeschenkt, um den sozialen Zusammenhalt zu fördern und hierarchische Strukturen zu festigen. Im berühmten sumerischen Epos von Gilgamesch erhält der wilde, tierähnliche Enkidu Bier, um ein zivilisierter Mensch zu werden. Der Rausch wird hier also direkt mit Kultur und Menschwerdung verbunden.

Die „Drunk Hypothesis“: Warum Rausch gesellschaftlich nützlich sein könnte

Manche Wissenschaftler glauben deshalb, dass Alkohol mitgeholfen haben könnte, große und strukturierte Gesellschaften zu entwickeln. Diese Idee nennt sich „Drunk Hypothesis“, also die „Betrunken-Theorie“. Sie stammt von Edward Slingerland, der meint: Der Wunsch nach Rausch war vielleicht kein Fehler der Natur, sondern hatte kulturelle Vorteile, die den Schaden durch Alkohol aufwogen.

Neue Studie des Max-Planck-Instituts untersucht den Zusammenhang

Um diese Idee zu prüfen, haben Forscher vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig eine große Studie durchgeführt. Václav Hrnčíř, der die Studie geleitet hat, sagt: „Die Theorie ist spannend, wurde aber bisher noch nie mit Daten aus verschiedenen Kulturen richtig überprüft.“ Das liegt daran, dass es nur wenige archäologische Funde zum Thema Alkohol gibt – und alte Schriftquellen stammen meist aus bereits sehr entwickelten Gesellschaften. Deshalb nutzten die Forscher moderne Methoden aus der Ethnologie und Statistik. Sie sammelten Informationen über den Konsum traditioneller, vergorener Getränke aus 186 Kulturen weltweit – von einfachen bis hin zu sehr komplexen politischen Systemen. Um herauszufinden, ob Alkohol wirklich eine Rolle beim Aufbau solcher Systeme gespielt hat, nutzten sie spezielle statistische Modelle. Diese halfen ihnen, andere mögliche Ursachen wie Landwirtschaft oder den Umgang mit Umweltressourcen einzubeziehen. Die dafür nötigen Zusatzdaten kamen aus einer großen Datenbank mit Informationen zu Sprachen, Kulturen und Umweltbedingungen (D-PLACE).

Das Ergebnis: Alkohol war hilfreich – aber nicht entscheidend
Das Ergebnis: Es gibt einen Zusammenhang zwischen alkoholischen Getränken und politischer Komplexität. Alkohol war also möglicherweise ein Teil des Ganzen, aber wahrscheinlich nicht der Hauptgrund für die Entstehung großer, strukturierter Gesellschaften.

Josef H. Reichholf: Der Rausch als Motor der Sesshaftigkeit

Auch der Evolutionsbiologe Josef H. Reichholf stellt in seinem Buch „Warum die Menschen sesshaft wurden“ eine ähnliche These auf. Er glaubt, dass die Menschen nicht aus Not sesshaft wurden, sondern weil sie Feste feiern und Rausch erleben wollten. Laut Reichholf wurde Getreide ursprünglich nicht hauptsächlich zum Essen angebaut, sondern um daraus Bier zu brauen. Bier war nahrhaft und vor allem wichtig für das Gemeinschaftsleben. Bei Festen wurde gemeinsam getrunken, gelacht und gefeiert. Das stärkte das Zusammengehörigkeitsgefühl und half dabei, dass größere Gruppen friedlich zusammenleben konnten. Ein wichtiger Schritt, um dauerhafte Siedlungen zu gründen.

Feiern vor Ackerbau? Göbekli Tepe als Beleg für frühe Rauschkultur

Reichholf verweist auch auf Fundorte wie Göbekli Tepe, eine Kultstätte in der heutigen Südtürkei, die über 11.000 Jahre alt ist. Dort trafen sich Menschen regelmäßig zu religiösen Feiern. Um solche Feste zu organisieren, brauchte man Planung, Vorräte – und damit den gezielten Anbau von Getreide. Das zeigt: Der Rausch kam womöglich vor der Landwirtschaft.

Rausch als Teil unserer Evolution

Für Reichholf ist der Wunsch nach Rausch nichts Negatives, sondern eine ganz menschliche Eigenschaft. Alkohol half, Stress abzubauen, Vertrauen aufzubauen und die Zusammenarbeit in Gruppen zu verbessern. All das waren wichtige Voraussetzungen für die Entstehung von Zivilisationen. Sein Fazit ist überraschend, aber nachvollziehbar: Nicht der Mangel trieb die Menschen in feste Siedlungen – sondern das Bedürfnis nach Feier und Gemeinschaft. Und ohne Alkohol hätte die Menschheit diesen entscheidenden Schritt vielleicht nie gemacht.

Kommentare

Eine Antwort zu „Max-Planck-Institut: Bier brachte Zivilisation“

  1. Avatar von Armin Kotterheidt

    Ich finde diese Theorie absolut stimmig. In Göbekli Tepe wurde vor 11000 bis 12000 Jahren schon Bier gebraut, zum Beginn der neolithischen Revolution, also zum Beginn der sesshaftwerdung der Menschen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert